Archive for June, 2017

Kein Al Quds-Tag 2017!

Thursday, June 15th, 2017

Wir unterstützen den Aufruf des Antifaschistischen Berliner Bündnis gegen den Al Quds-Tag 2017:

Kein Al Quds-Tag 2017!
Gegen jeden Antisemitismus!

Am Freitag, den 23. Juni 2017 wollen im 21. Jahr in Folge hunderte
Antisemit*innen am sogenannten Al Quds-Tag in Berlin aufmarschieren. Sie
demonstrieren für eine Eroberung Jerusalems (arabisch: Al Quds) und die
Vernichtung Israels. Der Revolutionsführer Ayatollah Khomeini rief den
Al Quds-Tag 1979, kurz nach der Islamischen Revolution im Iran aus. Der
Tag wird jährlich im Rahmen eines Staatsaktes am Ende des Ramadan
abgehalten. Dabei wird er sowohl als „Tag des Widerstandes gegen den
jüdischen Staat“ verstanden, als auch zum „Kampftag für die
Unterdrückten der Welt“ stilisiert. Mit der Forderung, dass „die
Unterdrückten“ sich ausgerechnet gegen den jüdischen Staat zur Wehr
setzen sollen, steht der Al Quds-Tag in einer antisemitischen Tradition:
Die Idee einer jüdischen Weltverschwörung, die für alle Übel der
Gegenwart verantwortlich sei, ist zentraler Kern antisemitischer
Ideologie. Für die Islamische Republik Iran ist Antisemitismus seit der
Gründung im Jahr 1979 zentraler Bestandteil der Staatsideologie.

Am Al Quds-Tag in Berlin beteiligen sich neben Anhänger*innen der
Terrororganisationen Hizbollah und Hamas auch linke Antisemit*innen,
einige Neonazis und andere antiemanzipatorische Kräfte. Lediglich in
ihrem Antisemitismus geeint marschieren sie alle gemeinsam über den
Ku‘damm: durch ein Viertel, in dem es vor der Vernichtungspolitik des
nationalsozialistischen Deutschlands jüdisches Leben gab und das nun
dort auch wieder zu Hause ist. In der Nähe der Demonstrationsroute
liegen heute verschiedene Synagogen. Die Wahl dieser Route ist
entsprechend eine reale Bedrohung hier lebender Jüdinnen*Juden. So kam
es im Rahmen des Aufmarsches in den letzten Jahren wiederholt zu
Übergriffen. Es gilt, sich den Antisemit*innen entgegenzustellen.
Der Al Quds-Tag in Berlin

Der Hauptorganisator des Berliner Aufmarsches ist Jürgen Grassmann.
Grassmann leugnete im April diesen Jahres auf der Intifada-Konferenz in
Teheran die Shoa, sprach dabei unter anderem von „der Täuschung der
Menschen mit dieser Geschichte“ und führte in diesem Zusammenhang fort:
„Das Problem ist, dass die Zionisten es übertreiben“. Im gleichen Monat
brachte Grassmann auf einer Querfrontdemonstration in Berlin während
eines Redebeitrags seine antisemitische Verschwörungsideologie zum
Ausdruck. Unter anderem sagte er in diesem Beitrag, dass der IS „ein
Produkt der Zionisten“ sei und forderte anschließend das Ende des
Staates Israel. Bereits 2012 teilte er sich bei einer Veranstaltung des
neurechten Querfront-Magazins „Compact“ mit Jürgen Elsässer das Podium.
Die Redner*innen auf dem Berliner Al Quds-Tag decken das weite Feld des
Israelhasses ab: Dazu zählen etwa der Verschwörungsideologe Christoph
Hörstel, die Sekte „Neturei Karta“, Vertreter*innen der AKP-nahen
BIG-Partei und der islamistischen UISAE (Union of Islamic Student
Associations in Europe). Sie alle folgen dem Ruf des iranischen Regimes
und tragen ihren Antisemitismus in Berlin an diesem Tag auf die Straße.

Antisemitismus – deutsche Normalität

Im Jahr 2016 wurden von der Recherche- und Informationsstelle
Antisemitismus (RIAS) 470 antisemitische Vorfälle, inklusive Angriffe
und Anfeindungen in Berlin gezählt, was mehr als ein antisemitischer
Angriff pro Tag ist. Die Dunkelziffer, also Fälle, die weder RIAS noch
der Polizei gemeldet werden, liegt deutlich höher. Deutschland hat ein
Antisemitismus-Problem, das weder erst seit gestern besteht, noch
importiert wurde. Der deutsche Antisemitismus fand seinen Höhepunkt in
der Shoa, dem Mord an sechs Millionen Jüdinnen*Juden. Heute lebt er in
anderen Gewändern fort und ist in Deutschland, trotz (oder gerade wegen)
einer vorgeblichen Tabuisierung, noch immer hochgefährlich.
Mediale Aufmerksamkeit erregte zum Beispiel im Frühling 2017 der Fall
eines 14-jährigen Schülers einer Schöneberger Schule. Er wurde
monatelang von Mitschüler*innen antisemitisch beleidigt und angegriffen.
Trotz eindringlicher Hinweise seiner Eltern zog die Schulleitung
keinerlei Konsequenzen, weshalb der Jugendliche die Schule schließlich
verlassen musste. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Antisemitismus
an der Schule fand danach nicht statt. Dieser Fall ist nur einer von
vielen.

Antisemitismus wird als direkte Jüdinnen*Judenfeindschaft offen zur
Schau getragen oder besonders innerhalb des sich als aufgeklärt gebenden
liberalen Bürgertums in schönen Worten verpackt und hinter
antisemitischem Antizionismus versteckt. Auch die sich vom Bürgertum
eigentlich lossagende radikale Linke zeigt oft ihre antizionistischen
Ausprägungen. Beispielhaft sei etwa das trotzkistische Nachrichtenportal
„Klasse gegen Klasse“ angeführt. Regelmäßig wird auf dieser Seite gegen
Israel gehetzt. Dabei werden beständig antisemitische
Argumentationsmuster auf den jüdischen Staat angewendet. Er wird als
„künstlich“ und als „Enklave“ beschrieben, also als Fremdkörper im
ansonsten „natürlichen“ Nahen Osten; der israelische Ministerpräsident
Netanjahu wird in einer Bildmontage als böser Herrscher auf dem
„Eisernen Thron“ porträtiert und Israel wahlweise als „Apartheids-“ oder
„Terrorstaat“ dämonisiert.
Die Flucht vor Antisemitismus, auch schon vor der Shoa, wird nicht als
Grund für die Gründung Israels anerkannt, sondern wird als konspiratives
Projekt eines ominösen Imperialismus verklärt und so delegitimiert.
Kurz: Der als Imperialismus interpretierte Kapitalismus wird auf Israel
projiziert.

Aus der Ideengeschichte der antisemitischen Ideologie ergibt sich auch
für einige Linke ein attraktives Denkmuster falscher Kapitalismuskritik:
Dabei wird „das Jüdische“ beispielsweise durch Projektion nicht nur zum
„Kapitalisten“ stilisiert, sondern zur Personifizierung des eigentlich
unpersönlichen Kapitals als solches. Der Antisemitismus dient dabei als
Gegenentwurf zur kapitalistischen Moderne und als Erklärung komplexer
Zusammenhänge. Gegenwärtig ist offener Antisemitismus tabuisiert und
wird stattdessen zumeist in Codes und Chiffren geäußert. So wird er zum
Beispiel als Antizionismus verklausuliert. Das zeigen auch die
Veranstaltenden des Al Quds-Tag-Marsches beispielhaft in ihren
Äußerungen. Besonders deutlich war Jürgen Grassmann hierbei in seiner
Rede beim Al Quds-Tag 2015. Dabei propagierte er: „Und warum? Die
Antwort ist eigentlich immer die gleiche: Alles wegen Israel! Israel ist
das Krebsgeschwür der Menschheit […]. Israel ist der Schuldige an allen
Übeln der Welt! Sie sind […] die Feinde der Menschheit.“

Das antisemitische Regime im Iran

Für die Islamische Republik Iran ist Antisemitismus und der Hass auf die
Moderne seit der Gründung im Jahr 1979 ein Dreh- und Angelpunkt der
Staatsdoktrin. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass unmittelbar
nach der gewaltsamen Islamischen Revolution der Al Quds-Tag eingeführt
wurde. Das durch die Islamische Revolution geschaffene System propagiert
die eigene Überlegenheit, bekämpft „Andersgläubige“ und verteufelt den
Westen und individuelle Freiheiten. In diesem Denken stellen
Jüdinnen*Juden die Personifizierung der Moderne dar, der Hass auf Israel
und die Leugnung der Shoa sind tragende Elemente dieses Systems. Diese
„weltanschauliche Botschaft“ beschränkt sich nicht auf den Iran, sondern
soll auch verbreitet werden. Der Antisemitismus des Regimes wird immer
wieder offen zur Schau getragen: So propagierte der Führer des Regimes
Khamenei ausgerechnet am 9. November 2014 in neun Punkten, auf welche
Weise Israel eliminiert werden müsse. Dazu gehört die Bewaffnung des
Westjordanlandes nach dem Vorbild des Gazastreifens – ein Unterfangen,
welches das iranische Regime seit 1979 vorantreibt. Zusätzlich
finanziert das Regime islamistischen Terror weltweit (beispielsweise der
Hizbollah und Hamas). Durch die Unterstützung für das Assad-Regime in
Syrien starben Hunderttausende und Millionen Menschen sind auf der Flucht.

Der bei der antidemokratischen Präsidentschaftswahl erneut erfolgreiche
Hassan Rohani ist im Gegensatz zur etablierten Darstellung kein
„moderater Hoffnungsträger“, sondern das freundliche Gesicht des
Terrors. Seit Beginn seiner Präsidentschaft werden im Iran deutlich mehr
Menschen hingerichtet, als unter seinem Vorgänger Ahmadinejad. Seit
Beginn seiner Amtszeit sind nach Angaben der iranischen Opposition
mindestens 3000 Hinrichtungen durchgeführt worden. Den Nuklear-Deal
feierte Khamenei, der auch der oberste Religionsführer des Iran ist, im
September 2015 mit den Worten „Israel wird die nächsten 25 Jahre nicht
mehr erleben“ und auf Twitter verkündete er: „Bis dahin werden wir
kämpfen, heroisch und mit der Moral des Jihad, um den Zionisten keinen
Moment der Ruhe zu lassen“. Die internationale Gemeinschaft und somit
auch Deutschland, betreibt zu großen Teilen eine Appeasement-Politik,
die Rohani zum Reformer verklärt und bei der Unterdrückung
Oppositioneller die Augen verschließt. Die deutsche Iran-Politik ist
fatal: in regelmäßigen Abstand reisen Wirtschaftsdelegationen in den
Iran, aber auch in Deutschland selbst werden iranische Institutionen
gerne als Partner*innen, zum Beispiel für die Gestaltung des
Religionsunterrichts oder in der Geflüchtetenhilfe miteinbezogen.

Antifa heißt Solidarität mit Israel

Unsere antifaschistische Kritik am Antisemitismus bleibt mit einer
Israelsolidarität verbunden, die den Staat Israel als Schutzraum und
notwendige Konsequenz aus der Shoa begreift. Diese Solidarität bedeutet,
sich aus einer emanzipatorischen Perspektive gegen jeden Antisemitismus
zu stellen, der sich heute in allen Teilen der Gesellschaft vornehmlich
im israelbezogenen Antizionismus manifestiert.
Wir werden den antisemitischen Aufmarsch zum Al Quds-Tag auch in diesem
Jahr nicht unwidersprochen hinnehmen und unsere Kritik an religiösen
Fundamentalist*innen und Antisemit*innen aller Couleur am 23. Juni auf
die Straße tragen. Wir solidarisieren uns mit allen von Antisemitismus
Betroffenen und deren Schutzraum Israel. Außerdem gilt unsere
Solidarität den emanzipatorischen Kräften im Iran.

Nieder mit dem mörderischen Regime im Iran!
Nieder mit dem antisemitischen Al Quds-Tag!